Von alt Bewährtem bis hin zu Hightech
Bereits vor etwa 12.000 Jahren begannen die Menschen, Wildpflanzen systematisch zu bearbeiten, indem sie besonders ertragreiche und widerstandsfähige Pflanzen auswählten, um sie im nächsten Jahr erneut anzubauen. Mit dem Zeitalter der Industrialisierung und den damit verbundenen höheren Ansprüchen an Menge und Qualität von Lebensmitteln begann die Zeit der wissenschaftlich fundierten und systematischen Pflanzenzüchtung. Die Entdeckung der Mendelschen Gesetze vor über 150 Jahren ermöglichte es, Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften gezielt zu kreuzen und unter den Nachkommen die Individuen mit den gewünschten Merkmalen auszusuchen. Seitdem wurden immer wieder neue Methoden erarbeitet und mit technischen Erkenntnissen verknüpft, um die Pflanzenzüchtung effektiver zu machen. Dabei ist die Optimierung von zwei Schritten entscheidend: Die Erzeugung der genetischen Variabilität sowie die Selektion erwünschter Eigenschaften. Durch gezielte Kreuzung können genetische Eigenschaften neu kombiniert werden.
Heute bedient sich die Pflanzenzüchtung einer Mischung unterschiedlichster Methoden. Die Grundlage für jede pflanzenzüchterische Tätigkeit bilden nach wie vor Kreuzung und Auslese, ergänzt um zahlreiche weitere Methoden wie die Hybridzüchtung, die Mutationszüchtung, Zell- und Gewebekultur und DNA-Diagnostik bis hin zu modernen Methoden der Biotechnologie. Trotz aller technischen Fortschritte ist Pflanzenzüchtung bis heute eine sehr langwierige Arbeit. Es ist aufwendig, über Kreuzung erwünschte Eigenschaften, zum Beispiel aus genetischen Ressourcen wie Landsorten oder Wildarten, in Hochleistungssorten zu überführen. Fast immer werden auch unerwünschte Eigenschaften mit übertragen, die anschließend mühsam wieder herausgezüchtet werden müssen. Von der ersten Kreuzung bis zur marktreifen Sorte vergehen so mehr als 10 Jahre. Die in der Pflanzenzüchtung tätigen Menschen müssen daher frühzeitig erahnen, was die Landwirtschaft, die Konsumenten und die Wirtschaft in der Zukunft verlangen werden.
Mendel legt Grundstein für systematische Kreuzungen
Bei Kreuzungsversuchen mit Erbsen hatte Gregor Mendel die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung festgestellt. 1866, also vor über 150 Jahren, fasste Mendel diese Ergebnisse zusammen und brachte seine Systematik unter dem Titel „Versuche über Pflanzenhybriden“ in gedruckter Form heraus. Erst Jahre später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entdeckten drei Wissenschaftler unabhängig voneinander die Mendelschen Regeln neu. Das gab der Pflanzenzüchtung einen mächtigen Schub. Mendels Erkenntnisse waren die Basis dafür, Pflanzen mit klar definierten Zuchtzielen systematisch zu kreuzen. Bis dahin funktionierte das eher nach dem Zufallsprinzip und der unspezifischen Selektion nach sichtbaren bzw. messbaren Merkmalen. Heute gilt Mendel als „Begründer der Vererbungslehre“ und „Vater der Genetik“.
Kreuzungszüchtung - Natürliche Variation als Ausgangspunkt
Ein Prinzip der Natur ist die natürliche Variation. Jede Pflanze unterscheidet sich ein wenig von einer anderen. Diese Unterschiede entstehen durch natürlich auftretende Veränderungen in den Genen der Pflanzen – etwa zufällig, durch Hintergrundstrahlung, Sonnenlicht etc. Dabei werden in der DNA (engl. deoxyribonucleic acid, Träger der Erbinformationen, also der Gene) der Pflanze einzelne Basen zufällig verändert. Experten nennen das Punktmutation. In der Konsequenz kann die Pflanze eine etwas andere Eigenschaft aufweisen – etwa in ihrem Aussehen, in ihrer Widerstandskraft gegenüber Wassermangel, Kälte oder bestimmten Schädlingen etc.
Der Pflanzenzüchter sucht aus der so entstehenden Vielfalt der Pflanzen diejenige heraus, die aus seiner Sicht eine günstige Eigenschaft besitzt, die er auch bei anderen Pflanzen haben möchte. Er kreuzt dann diese Pflanze mit anderen, die diese Eigenschaft noch nicht besitzen: Er bestäubt also seine Pflanzen mit den Pollen der Pflanze, die er ausgewählt hat. Dabei hofft er, dass sich in der nächsten Generation seiner Pflanzen die von ihm ausgewählte Eigenschaft durchsetzt (Kreuzungszüchtung). Dann hätte er eine neue Pflanze gezüchtet. In der Praxis braucht solch ein Prozess allerdings 10 bis 15 Jahre, da immer wieder Nachkommen ohne die gewünschte Eigenschaft entstehen oder solche, die neben der gewünschten auch ungewollte Eigenschaften enthalten. Diese werden dann im Züchtungsprozess aussortiert.
Hybridzüchtung für höhere Ertragsleistung
Bei der Hybridzüchtung nutzt der Züchter den Heterosiseffekt. Dieser Effekt führt bei den Nachkommen aus der Kreuzung zweier verschieden reinerbiger Eltern zu einer höheren Ertragsleistung als die der Eltern. Die höhere Leistung ist nur in dieser Generation stark ausgeprägt. In den folgenden Generationen geht er aufgrund der Spaltung nach dem zweiten Mendelschen Gesetz bereits verloren.
In der Hybridzüchtung werden zunächst genetisch möglichst unterschiedliche Vater- und Mutter-Inzuchtlinien entwickelt. Diese reinerbigen Linien werden dann gezielt gekreuzt. Damit gewährleistet ist, dass die als Mutter genutzte Inzuchtlinie ausschließlich durch die väterliche Inzuchtlinie bestäubt wird und eine Selbstbefruchtung ausgeschlossen ist, verwendet man Mutterlinien, die kastriert wurden oder männlich steril sind, sodass sie keinen eigenen Pollen ausbilden.
Bei getrenntgeschlechtlichem Mais ist eine Kastration der mütterlichen Komponente durch manuelles Entfahnen einfach möglich. Bei Arten mit zwittrigem Blütenaufbau (z.B. Raps oder Roggen) nutzt man genetische Sterilitätsmechanismen. Bislang findet die Hybridzüchtung vor allem bei fremdbefruchtenden Arten (Mais, Raps, Sonnenblumen, Roggen und Zuckerrübe) statt.
Mutationszüchtung - Schaffung natürlicher Variation
Seit den 1930er Jahren ging man dazu über, die natürlich entstehende Variantenvielfalt aktiv zu fördern, indem man Pflanzen bewusst Strahlung oder Chemikalien aussetzt und dann schaut, ob sich dabei Varianten ergeben, die nützlich sind (Mutationszüchtung). Traditionell verstärkt man also die natürlich auftretenden Prozesse. Der Nachteil: Man erzeugt zwar viel Variation, aber man hat keinen Einfluss darauf, welche Eigenschaften wie verändert und ausgeprägt werden. Das macht den Prozess mühselig und aufwendig.
Gewebekulturtechnik
Pflanzen bilden im Laufe ihres Lebens zahlreiche Organe wie Blätter, Wurzeln und Sprosse. Pflanzen haben eine besondere Eigenschaft, die sie von vielen anderen Lebewesen unterscheidet: Aus jeder einzelnen Pflanzenzelle kann wieder eine komplette Pflanze heranwachsen. Diese Grundeigenschaft machen sich Züchter in verschiedenen Verfahren, z.B. der Zell- und Gewerbekulturtechnik zunutze. Diese Technik ist auch die Grundlage für viele biotechnologische Anwendungen und Analysen: Aus in vitro Zellkulturen können verhältnismäßig schnell viele erbgleiche, vollständige Pflanzen regeneriert werden. Durch Verwendung von Blattachselknospen (Augen) einer Kartoffelknolle gewinnen Züchter beispielsweise innerhalb von etwa 10 Monaten 10.000 Knollen. Mit der Verschmelzung zweier zellwandloser, "nackter" Pflanzenzellen aus zwei Pflanzenarten (Protoplastenfusion) können genetische Eigenschaften nahe verwandter Arten kombiniert werden. Dies machen sich Züchter zunutze, wenn sich die nahe verwandten Arten sonst nur schwer kreuzen lassen.
Gentechnik - Überbrückung von Kreuzungsbarrieren
Seit den 1980er Jahren hat man zusätzlich Verfahren (Gentechnik) entwickelt, mit denen nicht mehr einzelne Basen in der DNA verändert werden, sondern mit denen ganze Genabschnitte übertragen werden können. Mit diesen Verfahren werden auch die natürlichen Kreuzungsbarrieren überbrückt. Es können also Pflanzen geschaffen werden, die so in der Natur nicht entstehen würden. Zu solchen Verfahren zählen etwa Eingriffe mittels Agrobakterien oder per „Genkanone“.
Für solche Ansätze und die dadurch entstehenden Organismen hat der Gesetzgeber aufwändige Vorgehens- und Sicherungsmaßnahmen sowie Kennzeichnungspflichten erlassen. Da diese Methode gesellschaftlich keine Akzeptanz gefunden hat, kommt sie in der Züchtung in Deutschland nicht zum Einsatz.
Genomforschung
Die Eigenschaften der Kulturpflanzen sind durch ihr Erbmaterial bestimmt. Die Genomforschung erlaubt tiefere Einblicke in die Vererbung der Gene. Durch die Erkenntnisse aus der Genomforschung wird die Pflanze als biologisches System und ihre Interaktion mit der Umwelt auf molekularer Ebene besser verstanden. Die Genomforschung ist ein universelles Werkzeug moderner Züchtungsverfahren. Gene einzelner Arten werden umfassend studiert sowie deren Funktion charakterisiert, um die genetischen Unterschiede und ihre Ausprägung zwischen verschiedenen Individuen einer Art zu entziffern. Sind diese Unterschiede bekannt, können molekulare Marker als diagnostische Werkzeuge entwickelt werden. Mit diesen Markern kann der Züchter kleinste genetische Unterschiede feststellen und diese den Eigenschaften einer Pflanze zuordnen. Er muss sich bei der Selektion nicht mehr ausschließlich auf äußere Merkmale verlassen und kann somit viel präziser geeignete Kreuzungspartner aussuchen. Merkmale können darüber hinaus in frühen Generationen und in frühen Stadien (Keimling) analysiert werden. Bei herkömmlichen Verfahren werden beispielsweise Resistenzen über aufwändige Infektionsversuche in Zuchtgärten oder Laboren und Ertrag und Qualität erst am Ernteprodukt festgestellt. Die Genomforschung ersetzt aufwändige Tests im Labor und Feld und kann die Selektion beschleunigen. Die Züchtungsergebnisse sind insgesamt besser vorhersagbar geworden.
Genome Editing - Neue Methoden
Über die zunehmende Kenntnis der pflanzlichen Genetik wurden in den letzten Jahren neue Methoden entwickelt, die es ermöglichen, Züchtung immer genauer, zielgerichteter und damit effizienter zu machen und die zur Erzeugung von Punktmutationen innerhalb der natürlichen Artgrenze genutzt werden können. Der Vorteil dieser Verfahren, etwa des Genome Editing, gegenüber den herkömmlichen Ansätzen ist, dass es nicht mehr nur dem Zufall überlassen bleibt, wo die Punktmutation der Pflanze geschieht: Nun ist es möglich, diese natürliche Variation an ganz bestimmten Stellen der Pflanzen-DNA auszulösen. Damit kann nun gezielt diejenige natürliche Variation initiiert werden, die man haben möchte.
Mit einigen der neuen Verfahren können auch Veränderungen vorgenommen werden, die z. B. natürliche Kreuzungsbarrieren überschreiten. Man könnte also auch mit diesen Verfahren Pflanzen erzeugen, die so in der Natur nicht entstünden. Bei diesen handelt es sich unzweifelhaft um Gentechnisch Veränderte Organismen, die entsprechend reguliert werden müssen. Aus wissenschaftlicher Sicht muss daher eine differenzierte Bewertung von neuen Züchtungsmethoden vorgenommen werden. Entgegen dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach alle Pflanzen aus neuen Züchtungsmethoden pauschal als GVO zu regulieren sind, halten Züchter die Regulierung von Pflanzen, die sich von klassisch gezüchteten nicht unterscheiden, für sachlich falsch.